Nein zum neuen Versammungsgesetz

18. April 2021

Versammlungsrecht gegen die Demokratie nützt den Rechten

In der Gesellschaft, in der mächtige Superreiche einer Mehrheit weniger oder gar nicht Bevorteilter gegenüberstehen, früher sprach man vom Gegensatz von Kapital und Arbeit, in einer solchen Gesellschaft arbeiten die Inhaber*innen von Macht an der Stabilisierung ihrer Privilegien und ihrer Vormachtstellung . Sie taten das in der Nachkriegszeit unter anderem mit der Behinderung der Friedensbewegung, als es um die Wiederbewaffnung ging. Damals traf eine Polizeikugel den Friedensdemonstranten Phillipp Müller während der Essener Friedenskarawane.

Für die Einschränkung demokratischer Rechte haben die Herrschenden im Versammlungsrecht ein probates Mittel, da es ein Instrument dafür darstellt, Widerstand zu kontrollieren, zu begrenzen und zu kriminalisieren. Versammlungsgesetze können dafür dienen, die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 GG demokratisch legitimiert einzuschränken. Seit 2006 lagerte der Bund das Versammlungsrecht in die Kompetenz der Bundesländer aus.

Zum Berliner Gesetzgebungsprozess schrieb der Republikanische Anwaltsverein: „Die Versammlungsfreiheit ist – neben der Meinungsfreiheit – eines der wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist. Vor diesem Hintergrund enttäuscht der vorgelegte Gesetzesentwurf bürger*innenrechtliche Erwartungen.

Die Versammlungsbehörde soll immer noch Teil der Polizei sein, Polizeirecht soll auf Versammlungen anwendbar sein, die polizeiliche Anwesenheit in den Demonstrationen soll erlaubt sein; nach wie vor müssen Versammlungen angemeldet werden.“ (1)

Das erste Versammlungsrecht auf Länderebene führt schon 2008 zu einer Klage von Gewerkschaften beim Bundesverfassungsgericht, die teilweise von Erfolg gekrönt war. „Die Beschwerdeführer rügen einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes als Ganzes sowie seiner Regelungen im Einzelnen. Die Vorschriften führten zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten.“ (ebenda)

Die gefährlichen Wirkungen der Einschränkung der Demokratie werden aktuell in Nordrhein-Westfalen deutlich, wo sich ein neues Versammlungsrecht im gesetzgeberischen Prozess befindet. (2)

Schlimme Erfahrungen mit der Zerstörung der Demokratie und mit massiven Verletzungen der Menschenrechte gerade – aber nicht nur – in unserem Land sind für uns ein Grund, uns gegen die Beschneidung demokratischer Rechte zu stellen.

Die Verschärfung und Aushöhlung des Versammlungsrechtes spielt rechten Kräften in die Hände, die wie einst einen autoritären Law&Order-Staat anstreben.

Wenn NRW-Innenminister Reul das Gesetzespaket als Mittel gegen Umtriebe von rechts rechtfertigt, ist das zynisch. (3)

Undemokratische Schritte hier der Landesregierung NRW bahnen den Rechten den Weg, anstatt ihnen entschlossen entgegenzutreten.

Der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll warnte vor 53 Jahren auf einer Demonstration unter dem Motto „Kampf dem Notstandsstaat!“ vor dem Missbrauch undemokratischer Gesetze – wie der Notstandsgesetze – durch eine rechte Regierung. Die Geschichte Deutschlands ruft unsere Verantwortung heraus, hierbei den Anfängen zu wehren. (4)

Der Widerstand gegen undemokratische Entwicklungen, veranlasst Inhaber*innen von Macht unter anderem dazu, dass Sicherheitsorganen demokratische Versammlungen so behandeln, als ginge von ihnen eine Gefährdung für die demokratische Kultur aus.

Wer eine demokratische Versammlung anmeldet, dem werden weitgehende Sicherheitsverpflichtungen auferlegt, es drohen sogar Freiheits- und Geldstrafen, Ordner*innen und einfache Teilnehmer*innen müssen mit Konsequenzen rechnen, Video- Aufzeichnung der Versammlung erwecken den Eindruck eines Generalverdachts, und sie steigern die Gefahr der Willkür, zumal die Vorschriften im Gesetzespaket viel Interpretationsraum lassen. Wenn sich gegenüber dem Anmeldezeitpunkt Veränderungen ergeben, die im Kooperationsgespräch mit der Polizei noch nicht absehbar gewesen waren, drohenden Anmeldenden nach §27 Strafen von bis zu einem halben Jahr oder Strafzahlungen.

Der Gummiparagraph (§) 27 regelt, dass die Polizei e einschreiten kann, wenn sich jemand ihrem Eindruck nach ‚aggressiv oder provokativ‘ verhält. Rechten Polizei-Chat-Gruppen und andere bedenkliche Strukturen in einigen Polizeibehörden offenbaren, welche Gefahr hier im Raum steht.

§7 des Gesetzespakets sieht vor, dass niemand eine nicht verbotene Versammlung stören darf. Dieses Störungsverbot kriminalisiert den Protest gegen Rechts, gegen Rassismus, gegen Nazis.

§ 18 besagt unter dem Stichwort ‚Militanzverbot‘, es „ist verboten, eine …Versammlung unter freiem … Himmel zu veranstalten, zu leiten oder an ihr teilzunehmen, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbildes 1.durch das Tragen von … uniformähnlichen Kleidungsstücken, 2. durch ein paramilitärisches Auftreten oder 3. in vergleichbarer Weise … einschüchternd wirkt.“ Auch hier ist ein enormer und dadurch besonders gefährlicher Ermessensspielraum für Sicherheitskräfte gegeben. Als uniformähnlich können auch einheitliche Streik-T-Shirts von Gewerkschaftlern bei Streiks gelten.

Der gefährlich schwammige Ermessenspielraum gilt auch dafür, dass Personen nach § 14 im Vorfeld demokratischer Versammlungen von der Teilnahme ausgeschlossen werden, wenn die Behörde Umstände sieht, nach denen diese Person die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Wir wissen, dass der Schoß der rechten Gefahr immer noch fruchtbar ist und sagen zu derartigen Gesetzes-Neuerungen: Wehret den Anfängen! Der Widerstand gegen diese Entwicklungen mit Demonstrationen und Aufklärungsveranstaltungen steckt noch in den Kinderschuhen. Die Gewerkschaften spielen bei der Mobilisierung eine zentrale Rolle, da beispielsweise, wie hier aufgezeigt, auch Streik-Aktionen leicht ebenfalls durch gesetzlich beschlossene Repression behindert und kriminalisiert werden können.

(1) https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/erklaerung-des-rav-der-vdj-und-des-grundrechtekomitees-zum-gesetzentwurf-fuer-ein-berliner-versammlungsfreiheitsgesetz/28f4c866c74be22e6b284b31563c8116/

(2) https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-12423.pdf

(3) https://www.jungewelt.de/artikel/395269.grundrechtseinschr%C3%A4nkung-frontalangriff-auf-versammlungsfreiheit.html

(4) https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/VSA_Deppe_ua_Notstand_der_Demokratie.pdf